Krawattenabschneiden... 25

5 years ago
Krawattenabschneiden

Einakter für zwei Personen, einen Büroboten und eine Karnevalströte
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Das Bühnenbild zeigt ein Büro, das sich nicht so richtig zwischen modernem Design und sachlich-schlicht entscheiden kann. Ein Schreibtisch, ein Regalschrank mit Aktenordnern, zwei Besucherstühle, ein Laptop auf dem Schreibtisch.

Personen:
Frau Dr.Mechthilde Dorsten-Hühnlein
(Frau Dr.MDH), Ende vierzig, eine irgendwie unbunte Erscheinung, einzige Farbe in ihrem Outfit ist eine grell-lilafarbene Applikation.
Frau Mergentheimer, Anfang/mitte dreißig. Modisch gekleidet, nicht zu sexy. Ihr Erscheinungsbild hat etwas subtil verklemmtes.
Bürobote, sieht aus wie ein Bürobote.

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Frau Dr.MDH (blickt vom Schreibtisch hoch): Kommen Sie doch rein! Was kann ich für Sie tun? Frau...?

Frau Mergentheimer (zögert etwas, tritt dann an den Schreibtisch heran, setzt sich aber nicht): Mergentheimer. Ursula Mergentheimer. Aus der Debitorenbuchhaltung. Nun... äh... Sie sind doch die Frauenbeauftragte unseres Unternehmens, nicht?

Frau Dr.MDH: Gleichstellungsbeauftragte, um genau zu sein. Was kann ich denn für Sie tun?

Frau Mergentheimer: Nun ja... es geht... sozusagen... um einen Fall von...

Frau Dr.MDH: Sagen Sie nichts! Das heißt. natürlich müssen Sie das sagen! Laut sogar, sehr laut! Ein Fall von sexueller Belästigung, nicht wahr?

Frau Mergentheimer: Ja...ja-a... Ich bin mir ja nicht sicher, ob man das wirklich so nennen kann, wissen Sie...

Frau Dr.MDH (sehr bestimmt): Sehen Sie - genau das ist doch das Problem! Wenn man sich diese Frage stellen kann, dann ist sie damit längst beantwortet!

Frau Mergentheimer: Ja? Ach...

Frau Dr.MDH: Was ist denn passiert?

Frau Mergentheimer: Ich weiß wirklich nicht, ob man das "sexuelle Belästigung" nennen kann. Ist das denn nicht etwas übertrieben? Immerhin ist gerade Karneval. Es war Rosenmontag.

Frau Dr.MDH (streng): Nein! Nein! Nein! Das ist keine Entschuldigung! In keiner Weise! Sehen Sie - genau das ist doch das eigentliche Problem! Ausreden! Immer wieder Ausreden! Es sei doch gar nicht so gemeint gewesen, es war Karneval, man war angeschäkert... Erzählen Sie mir nichts! Alles faule Ausreden!

Frau Mergentheimer: Ach... nun...

(Im Hintergrund hört man eine Karnevalströte.)

Frau Dr.MDH (versöhnlich): Es geht also um eine Beschwerde?

Frau Mergentheimer: Ja. Genau darum.

Frau Dr.MDH: Dafür bin ich da!

Frau Mergentheimer: Ach... Aber ich meine - das ist doch ein uralter Brauch, und im Karneval, da fasst man sich doch schon mal an, und man umarmt sich auch mal. Einfach so.

Frau Dr.MDH: "Einfach so" ist nichts anderes als sexuelle Belästigung. Grapschen! Widerlich!

Frau Mergentheimer: Finden Sie...?

Frau Dr.MDH: Das braucht sich niemand gefallen lassen! Um wem geht es denn?

Frau Mergentheimer: Um den Herrn Birresborn. Vom Mahnwesen. Abteilung 4.

Frau Dr.MDH: Ach, schau an! Die Abteilung 4! Ich sage Ihnen: ein Sumpf von Sexismus! Und dieser Birresborn hat Sie also begrapscht?

Frau Mergentheimer: Nicht direkt.

Frau Dr.MDH: Ist er verbal anzüglich geworden?

Frau Mergentheimer: Nein, er hat eigentlich gar nichts gesagt.

Frau Dr.MDH: Also hat er gegrapscht?

Frau Mergentheimer: Nein, eigentlich nicht.

Frau Dr.MDH (bemüht sich, ihre Ungeduld nicht zu deutlich werden zu lassen). Ich verstehe völlig, daß das für eine Frau sehr schwierig ist, über solche traumatischen Erlebnisse zu sprechen. Aber ich bin auch eine Frau. Ich kenne solche Situationen. Jede Frau kennt solche Situationen. Ich schenke Ihnen jetzt erstmal eine Tasse Tee ein, und dann erzählen Sie einfach in aller Ruhe, von Anfang an. Ich garantiere Ihnen: da werde ich, da wird das Unternehmen mit drakonischer Härte durchgreifen! Da ist jede Milde völlig fehl am Platz!

(Frau Dr.MDH schenkt Frau Mergentheimer eine Tasse Tee ein. Frau Mergentheimer dreht die Tasse in den Händen hin und her, ohne daraus zu trinken. Sie scheint den Tränen nahe.)

Frau Mergentheimer: Also... gestern war ja Rosenmontag. Und gegen Mittag haben dann die meisten in den meisten Büros aufgehört, zu arbeiten, und sind so als Karnevalszug durchs Haus gezogen.

Frau Dr.MDH (naserümpfend): Ja, das habe ich auch gehört, gestern. Aber ich wollte Sie nicht unterbrechen.

Frau Mergentheimer: Ja... und da sind wir aus unserem Büro, also die Frau Schröder und die Frau Kleinschmidt und ich, auch mit losgezogen. Und dann kamen wir am Mahnwesen vorbei. Da arbeiten nur Männer, wissen Sie. Und dann sind wir rein. In das Büro. Und die Moni, also die Frau Kleinschmidt, die hat die drei Männer, also den Birresborn und den Krautschek und den Hasler, mit ihrer Karnevalströte angetrötet. (Im Hintergrund ertönt die Karnevalströte.) Die fanden das aber glaube ich nicht so lustig.

(Frau Mergentheimer schweigt und dreht die Teetasse in den Händen hin und her.)

Frau Dr.MDH: Und dann? Hat er Sie begrapscht.

Frau Mergentheimer: Nein. Eigentlich nicht. Dann habe ich ihm die Krawatte abgeschnitten, ich meine, ich wusste ja nicht, daß die aus echter Seide war und über 200 Euro gekostet hat, und dann habe ich ihm einen Kuß gegeben, na ja, eher zwei oder drei, aber nur auf die Wange, und er wollte mir ausweichen, aber die Britta, also die Frau Schröder, die hat ihn einfach von hinten festgehalten, und ihm mit den Händen die Haare zerstrubbelt, und dann hatte die Moni plötzlich diesen Lippenstift in der Hand und... ich ja auch nicht, wieso... aber dann habe ich ihm mit dem Lippenstift einen Kußmund auf die Stirn gemalt. Und dann sind wir weiter...

Frau Dr.MDH: (guckt Frau Mergentheimer entgeistert an)

Frau Mergentheimer: Und heute morgen wurde ich zum Abteilungsleiter gerufen, und der Chef der Personalabteilung, also der oberste Chef, der war auch da, der Dr.Ebelein. Und die haben mir gesagt, daß sich der Herr Birresborn wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz beschwert hat, und er hat einen Anwalt eingeschaltet und jetzt verklagt er die Firma... Aber das war doch nur so ein freundlicher Scherz. Es war doch Rosenmontag...!

(Die Tür geht auf. Ein Bürobote kommt rein, mit einem Rollwagen voller Briefe und Akten. Er nimmt einen dicken gelben Briefumschlag vom Rollwagen und hält ihn Frau Dr. Dorsten-Hühnlein hin.)
5 years ago
Bitte noch einmal zurück in die Rechercheabteilung... bei den sachlichen und inhaltlichen Ungenauigkeiten wird diesen literarischen Erguss kein rheinischer Buchhändler ins Regal legen ;-))
Das Bemühen um eine wie auch immer geartete politische Korrektheit, die hier angeprangert wird, penetriert das gesamte Elaborat...
Beim Rohwerschen Allwissenheitsanspruch hätte ich eine solche inhaltliche Schlamperei nicht erwartet...
Krawatte ist an Weiberfastnacht... beim Rosenmontagszug, weswegen im Rheinland an vielen Stellen keine Arbeit stattfindet, werden Polizeimützen geklaut, weswegen die Polizei am Rosenmontag von der Mützenpflicht an vielen Orten entbunden ist.
5 years ago
gut zu wissen
schliesslich ist bald rosenmontag
5 years ago
Ich empfehle in diesem Zusammenhang den Film "(Der?)Campus". Der ist allerdings schon einige Jahre alt und nicht einfach zu finden.
5 years ago
etwa dieser?
Der Campus (1998) Trailer auf youtube
5 years ago
mehr bei Wikipedia

Der Campus ist ein 1995 erschienener Universitätsroman von Dietrich Schwanitz. Der Autor zeichnet ein satirisch überspitztes Bild von Intrigen und Vetternwirtschaft an der Hamburger Universität und von der Vernichtung der Karriere eines angesehenen Hamburger Soziologie-Professors durch den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs am Arbeitsplatz.
5 years ago
Ich empfehle in diesem Zusammenhang den Film "(Der?)Campus". Der ist allerdings schon einige Jahre alt und nicht einfach zu finden.

Yepp.

Und es ist mir ehrlich gesagt völlig egal, ob die da unten die Krawatten an Rosenmontag, Weiberfassnacht oder zum Nikolaustag abschneiden.

Bei mir schneiden sie sie halt am Rosenmontag ab... ;-P
5 years ago
"Und es ist mir ehrlich gesagt völlig egal, ob die da unten die Krawatten an Rosenmontag, Weiberfassnacht oder zum Nikolaustag abschneiden. Bei mir schneiden sie sie halt am Rosenmontag ab... ;-P"

Das zeigt wenig Aufgeschlossenheit gegenüber Kritik und Verbeserungsvorschlägen, Monsieur!
5 years ago
Ein Werk ist irgendwann mal fertig, und dann ändert man nichts mehr daran. ;-)
5 years ago
@perfekt(?)ion(!)
Ja, den Film meine ich. Und nach meiner Meinung ist es nicht unbedingt satirisch überspitzt - sondern fast realistisch und im Übrigen nicht nur auf die Uni bezogen. Da kann auch dieser oder jener Troll noch etwas lernen.

Vor dem Rosenmontag im nächsten Jahr ist aber tatsächlich noch das Krawattenabschneiden.
[gone] Charisma1962
5 years ago
Kluge Männer binden an Weiberfasnacht gleich morgens einen bereits abgeschnippelten Schlips um.
5 years ago
@Charisma Dabei käme ich mir wie ein Langweiler vor. Ich lasse vielmehr am "schmutzigen Donnerstag", wie das bei uns zu hause heißt, die Krawatte von meiner Frau auswählen. Sie darf quasi einmal im Jahr eine aussortieren...

... allerdings ist der Verlust (leider) hier im Osten nicht sicher. Es gab Jahre, da kam ich mit heiler Krawatte und traurigem Blick nach hause, weil die wenigen karnevalistisch aktiven Damen im Büro nicht den scheuen Blick durch die Tür gesteckt und gefragt haben, ob sie schnippeln dürfen.

Wo soll das nur noch enden... Danke, Merkel ! ;-)
5 years ago
Martin Kiefer - soll das jetzt auch hier Einzug halten, dass am Ende jedes Klagens "Danke Merkel!" steht? Fotografenouting, ggf. vorsichtig mit Ironiemodus-Smiley?
5 years ago
Kluge Männer binden an Weiberfasnacht gleich morgens einen bereits abgeschnippelten Schlips um.

Ich trage erstens grundsätzlich niemals Krawatten (ich habe in meinem ganzen Leben noch keine umgehabt, und werde das jetzt auch nicht mehr ändern), und zweitens würde ich jede Frau, die versucht, ohne vorher von mir dazu aufgefordert worden zu sein, mit einer Schere oder einem Messer an meiner Kleidung herumzuschnippeln, mit einem gezielten Faustschlag davon abhalten.
(Rettungskräfte im Notfalleinsatz mal ausgenommen.)

Mit welcher Berechtigung schneidet irgendwer irgendwem eine Krawatte ab? Das Strafgesetzbuch nennt das schlicht "Sachbeschädigung", und unter Umständen auch noch "Nötigung" oder "tätliche Beleidigung", und das BGB regelt die Schadensersatzansprüche dazu.

Und nein, es gibt auch kein Gewohnheitsrecht und kein "Volksbrauchtum", die da an irgendeinem Tag die Gesetze außer Kraft setzen würden.

Nicht nur Harry Weinstein, auch Frauen müssen vorher fragen.
5 years ago
@Marcello Rubini:
Martin Kiefer - soll das jetzt auch hier Einzug halten, dass am Ende jedes Klagens "Danke Merkel!" steht?

Du musst maximal noch bis zum 26.Mai 2019 durchhalten. Danach hat sich das Thema dann erledigt. Mit etwas Glück auch schon ein paar Wochen früher.
5 years ago
In wieweit ich mich "fotografisch oute", ist mir nicht ganz klar, aber wer von obigem Posting auf meine politische Ausrichtung schließen mag, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

Gruß | Martin
[gone] Charisma1962
5 years ago
In meiner Ausbildung hat der Chef der Abteilung das mit der bereits abgeschnittenen Krawatte gehandhabt. Ich habe diesen Brauch als junge Frau in Stuttgart intensiver erlebt, aber es war kein Fall darunter, wo ein Mann wirklich derart - wie von Tom in seiner Inszenierung beschrieben - bedroht wurde. Belassen wir die Dramaturgie doch in dem Stück und vermischen das nicht mit der fröhlichen Realität.
5 years ago
Ich habe diesen Brauch als junge Frau in Stuttgart intensiver erlebt, aber es war kein Fall darunter, wo ein Mann wirklich derart - wie von Tom in seiner Inszenierung beschrieben - bedroht wurde.

In der Geschichte wird nicht "bedroht".
In der Geschichte tobt ein Trupp von Frauen "traditionsgemäß" durch die Büros, schnippelt Krawatten ab, und verteilt dabei ungefragt Küsschen und strubbelt in den Haaren.

Das mit den Krawatten ist eine rheinländische Marotte. Die Unart, einfach ungefragt anderen Leuten Küßchen auf die Wange zu schmatzen, ist nicht auf's Rheinland beschränkt und ein Verhalten, das bei Frauen viel häufiger vorkommt als bei Männern. War schon früher so, und das Ungleichgewicht ist noch deutlich stärker geworden, seit sich Männer vorsichtshalber ganz bewusst zurückhalten. Das mit dem "Haare strubbeln" ist irgendwie die Steigerungsform davon, kommt vor allem bei Frauen vor, die schon einen Prosecco o.ä. intus haben oder sonst wie leicht aufgeputscht sind, z.B. durch "Feierlaune".

Was das Verhalten anderen Leuten gegenüber und vor allem auch dem anderen Geschlecht gegenüber betrifft, so sage ich immer nur: Stell Dir vor, wie Du es fändest, wenn ein anderer das mit Dir macht. Und zwar ein anderer, von dem Du Dir das nicht erhoffst/erträumst. Und alles, was Du selber auch erleben möchtest, das lass ganz einfach anderen Leuten gegenüber auch bleiben.

Das bemerkenswerte ist ja: Männer wie Harry Weinstein sind übegriffig, wissen aber, daß das nicht richtig ist, und rudern entsprechend, wenn man es ihnen vorwirft.
Frauen wie Avital Ronell sind übergriffig und beleidigt, wenn man sie dafür kritisiert, weil sie meinen, daß es bei einer Frau kein Übergriff sein kann.
[gone] Charisma1962
5 years ago
Tom, du solltest bereits mitbekommen haben, dass ich bzgl. Übergriffigkeit sehr sensibel reagiere. Insofern habe ich Verständnis für deine Haltung. Ich stimme dir auch zu, dass aufgeputschte Menschen beiderlei Geschlechts schnell lästig bis widerlich sind. Dennoch habe ich zig Situationen dieses Brauchtums erlebt (ich selbst war da eher Zuschauerin), die wohl von beiden Parteien einfach nur als lustig empfunden wurden.
bei uns waren das zu Schulzeiten mangels Kravatten bei den männlichen Schülern die Schnürsenkel die leiden mussten... manchmal wurden auch dabei die Schuhe beschädigt, das ist dann kein Spass mehr... ich bin entweder mit abgetapten Schuhen hin oder mit Kabelbindern oder Draht drin statt Senkeln in die Schule an Weiberfastnacht... das war vor über 20 Jahren... Brauchtum schön und gut aber es kann alles übertrieben werden

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