An alle freiberufliche Visagisten 5

7 years ago
Hallo Ihr Lieben,
ich hoffe Ihr koennt mir helfen.
Ich beende dieses Jahr meine Visagistenausbildung und moechte ab naechstem Jahr zusaetzlich zu meinem 450eur Job als freiberufliche Visagistin taetig werden.
Koennt ihr mir vll weiterhelfen und mir sagen welche Schritte ich gehen muss?
Ich habe erfahren dass eine Anmeldung beim Finanzamt reicht und kein Gewerbe angemeldet werden muss.
Aber wie sieht es aus mit der Krankenversicherung und Rentenversicherung und Rechtschutz? Kranken und Rentenversichert bin ich ja auch ueber den 450eur Job. Reicht das auch?
Wie habt ihr das gemacht?
und schreibt ihr eure Rechnungen selbst? Macht ihr die Steuererklaerung selbst oder braucht man unbedingt einen Steuerberater hierfuer?

Es sind viele Fragen aber ich moechte nichts vergessen oder falsch machen.
Daher waere ich so dankbar fuer eure Hilfe!

Liebe Gruesse
Jenny
7 years ago
Ich bin zwar kein Visagist bin aber schon einmal freiberuflich tätig gewesen und erlaube mir daher einen Rat:

Ein 450 EUR-Job ist kein Freibrief. Natürlich muss man ALLE Einnahmen ordnungsgemäß versteuern und auch der Beitrag für die Krankenversicherung richtet sich nach dem Gesamteinkommen. Dazu gehören sogar Zinsen und Mieteinnahmen.
7 years ago
Ob eine Visagistin als gewerblich oder freiberuflich tätig einzustufen ist, hängt von den konkreten Umständen ihrer Tätigkeit ab.

Das Finanzgericht Hamburg hat im Jahr 1992 die folgende Feststellung getroffen:

Eine Visagistin kann eine künstlerische Tätigkeit ausüben (FG Hamburg Urteil vom 19.08.1992 - III 374/88). Eine Visagistin, die für Modejournale oder gewerbliche Auftraggeber Fotomodelle für Fotoaufnahmen schminkt und frisiert, dabei im Team bestehend aus Fotograf und Modestylisten zusammenwirkt, ohne bei ihrer Arbeit konkreten Weisungen bezüglich Schmink- und Frisierstylings zu unterliegen, kann eine künstlerische Tätigkeit i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausüben.

Für die Einstufung der Tätigkeit als künstlerisch ist erforderlich, dass die Arbeit nicht bloß das Produkt handwerksmäßig erlernter bzw. erlernbarer Tätigkeiten darstellt, dass der Visagistin im Rahmen des von den Auftraggebern vorgegebenen Rahmens Raum für eine eigenschöpferische Tätigkeit verbleibt und die Werke den Stempel ihrer Persönlichkeit tragen.

Insofern: die Chancen, daß es sich um eine gewerbliche Tätigkeit handelt, sind eher groß.

Ich habe erfahren dass eine Anmeldung beim Finanzamt reicht und kein Gewerbe angemeldet werden muss.

Wer hat Dir diese Auskunft gegeben?
Aber wie sieht es aus mit der Krankenversicherung und Rentenversicherung und Rechtschutz? Kranken und Rentenversichert bin ich ja auch ueber den 450eur Job. Reicht das auch?

Stop-stop-stop...

Bei einem 450-Euro-Job führt der Arbeitgeber zwar eine kleine Pauschale an die Kranken- und die Rentenversicherung ab. ABER: daraus resultieren keine Leistungen für Dich!
Wenn Du nicht über einen zusätzlichen Hauptjob versichert oder über die Familienversicherung bei Eltern oder Ehemann mitversichert bist, hast Du dann KEINE Krankenversicherung. Was nicht zulässig ist. Du musst Dich dann zusätzlich selbst krankenversichern.

Auch irgendwelche Ansprüche aus der Rentenversicherung erwirbst Du über den 450-Euro-Job NICHT!

Wenn Du Dich in die Materie einlesen möchtest:
http://www.krankenkassen.net/gesetzliche-krankenversicherung/450-euro-job-wer-zahlt-die-krankenkasse.html
Außerdem berät Dich die Krankenversicherung, bei der Du bisher versichert warst. Auf jeden Fall solltest Du Dich in der Hinsicht schleunigst gründlich beraten lassen...
schreibt ihr eure Rechnungen selbst?

Wer sollte es sonst tun, außer der Selbstständige höchstselbst?

;-) Weil heute Sonntag und schönes Wetter ist und ich schon eine 10-Kilometer-Runde gewalkt bin:

1. Klär dringend Deinen Krankenversicherungs-Status - so wie Du es beschreibst, geht es nicht auf. Wenn Du irgendwo mitversichert bist (im Alter von 31 vermutlich eher beim Ehemann), kannst Du das erstmal so lassen.
2. Rentenversicherung - ganz anderes Thema, bis Du im Rentenalter bist, gibt's die gesetzliche Rentenversicherung sowieso nicht mehr, die ist schon lange tot, sie weigert sich nur noch, endlich auch umzufallen... Über Deine Altersabsicherung kannst Du in Ruhe nachdenken, wenn Du alles andere wichtige geklärt hast.

3. Deiner Sedcard zufolge modelst Du nicht pay, sondern nur TfP. Okay, dann spielt das erstmal keine Rolle, nur zur Vollständigkeit: modeln für Geld ist in Deutschland immer ein Gewerbe, ohne Ausnahme.

4. "Make-up-Artist", Visagistin, man nenne es, wie man wolle...
Siehe oben - mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine gewerbliche Tätigkeit. Ob es bei Dir freiberuflich, weil "künstlerisch" ist (siehe ganz oben), will ich jetzt nicht beurteilen, kann ich auch nicht beurteilen.

Du hast jetzt genau zwei Möglichkeiten:

a) Du meldest das als Gewerbe an. Steuerlich ist das in Deinem Fall gehupft wie gesprungen, Gewerbesteuer wird erst ab einem "Gewerbeertrag" von 24.500 €/Jahr fällig. Allerdings muss eine Gewerbesteuererklärung gemacht werden - wie soll das Finanzamt sonst auch wissen, daß es weniger als 24.500 € sind...
Die Gewerbeanmeldung macht Dich zum Zwangsmitglied in der Industrie- und Handelskammer, entgegen vollmundigen anderslautenden Behauptungen leben wir in Deutschland nämlich nicht mal ansatzweise in einer wirklich "freien" Marktwirtschaft.
Die IHK-Mitgliedschaft macht Papierkram, ob Deine IHK bei Gewerbegründern und geringem Umsatz erstmal auf den IHK-Beitrag verzichtet, kann Dir nur Deine IHK sagen, das ist unterschiedlich von IHK zu IHK.
Wenn Du ein Gewerbe anmeldest, musst Du für dieses eine Steuererklärung machen. Einkommenssteuer muss, ob Du zur Umsatzsteuer-Veranlagung optierst, ist bis 17.500 € Umsatz im Jahr Deine Entscheidung. Machst Du es nicht, fällst Du unter die "Kleinunternehmerregelung" des §19 UStG, und brauchst keine USt abführen, darfst aber auch keine in Rechnung stellen und kannst keinen Vorsteuerabzug machen.
Für Genaueres dazu empfehle ich
- Google oder
- ein Ratgeberbuch für Existenzgründer oder
- einen Steuerberater

So oder so gilt immer: neben einem sozialversicherungspflichtigen Job darfst Du 410 € im Jahr steuerfreie Nebeneinkünfte haben. Und generell gilt: es gibt das steuerfreie Existenzminimum von 8xxx € im Jahr. (Aktuelen Freibetrag itte selber googlen.) Für das werden alle steuerpflichtigen Einkünfte zusammengerechnet. Erst darüber werden Steuern fällig, aber auch da gilt wieder: Steuererklärung ist nötig, sonst kann das Finanzamt das ja nicht wissen...

b) Du sagst ganz keck:: "Ich bin freiberufliche MUA!"
Wenn Du jetzt Deinem Finanzamt sagst "Ich bin MUA!", kann es passieren, daß das FA Dir antwortet "...und damit Gewerbetreibende!"
Ob Du ein Gewerbe anmeldest oder in die IHK eintrittst, ist dem Finanzamt völlig wurscht. Das will nur die Steuern, die Du zu zahlen hast. Die Gewerbebehörde meldet jede Gewerbeanmeldung an das Finanzamt und die IHK - das Finanzamt meldet umgekehrt gar nix.
Solange Du mit dem Finanzamt im Reinen bist, wird von Deiner MUA-Tätigkeit vermutlich weder die Gewerbebehörde noch die IHK etwas erfahren.
Ich sage damit nicht: vergiss die einfach. Ich sage nur: man kann Prioritäten setzen. Ein Gewerbe zu errichten, ohne es anzumelden, kostet ggf. ein Bußgeld. Die IHK könnte Beiträge nachfordern, aber wenn da sowieso Beitragsbefreiung bestehen sollte, gibt's nichts zum Nachfordern... Gewerbeanmeldung kostet um 20 Euro, es ist halt alles nur immer Papierkram, Papierkram, Papierkram.

5. Buchführung, Steuererklärung...
Ein Steuerberater mag Overkill sein. Ich würde ja immer sagen: wenn Du ernsthaft daran denkst, das als Nebentätigkeit zu betreiben, dann gönne Dir einen Beratungstermin bei einem Steuerberater. Einen.

Mit dem Steuerberater besprichst Du die ganze Situation. Tip: fass die Sache vorher auf maximal zwei Seiten DIN A4 zusammen, dann vergisst Du nichts zu fragen, und der Steuerberater hat etwas kompaktes in der Hand.

Mit dem Steuerberater machst Du ein KONZEPT, wie Du die ganze Sache steuerlich handhaben kannst. Das ist immer individuell. Gibt's einen Ehemann, der Geld verdient? Oder Sozialleistungen? Oder...? Oder...?
Das sollte nicht mehr als vielleicht 200, 250 Euro kosten, aber es sorgt für Klarheit.

Anschließend kannst Du den Kram erstmal selber machen, bis sich was wesentliches ändert. Noch ein Tip: lass Dir vom Steuerberater kurz und knackig erklären, wie Du Deine Belege sammeln und Deine Steuererklärung machst. Ob Vorauszahlungen fällig werden könn(t)en, oder nicht. Usw. usf.

10 Stunden gründliche Vorarbeit und Vorbereitung (8 bei Dir, 2 mit dem Steuerberater) sparen Dir 100 Stunden Hinterhergewürge, Fehler, Irrtümer, Nachbesserungen, und mittel- und längerfristig auch mehr Geld, als der eine Termin beim Steuerberater kostet. Und Du musst nicht raten, sondern hast konkreten Informationen und belastbare Ratschläge.

Der Steuerberater wird Dir zum Beispiel erklären, daß Du Kosten für die Visagistenausbildung steuerlich geltend machen kannst. Und wie Du das ggf. machst.

Tip Nº 3: dieser ganze Papier- und Formal- und Rechtskram ist scheiße. Scheiße. SCHEISSE. Jedenfalls für Menschen, die da kein Vergnügen dran finden. Aber: seinen geschäftlichen Papierkram sauber in Ordnung zu halten, hat drei riesengroße Vorteile:

1) es gibt keine bösen Überraschungen und man schläft ruhig.
2) nur so kennt man seine eigenen betriebswirtschaftlichen Zahlen. Wer keine vernünftige Buchführung macht, weiß nicht, wo er wirtschaftlich eigentlich steht, und merkt erst, daß er pleite ist, wenn er schon pleite ist.
3) man spart eine Menge Zeit und Arbeit. Du kannst Deinen ganzen Visagistinnen-Krams einfach in eine große Kiste werfen, und wenn Du was brauchst, kramst Du erstmal eine Stunde, um dann vielleicht festzustellen "Oh, ist alle" oder "Oh, ist kaputt gegangen". Oder Du hältst Dein Arbeitsgerät und Arbeitsmaterial perfekt in Ordnung. Da spart ganz schnell sehr viel Zeit, Mühe und auch Geld.

Und egal ob Freiberuflerin oder Gewerbetreibende - für den Selbständigen (Unternehmer) gehört der "Papierkram" zum Arbeitsgerät und Arbeitsmaterial.

P.S.: von der Krankenversicherungspflicht, der in Deutschland (mit wenigen Ausnahmen, die hier nicht zutreffen) jeder unterliegt, mal abgesehen bist Du mit Deiner Visa-Tätigkeit nicht in irgendeiner Pflichtversicherung.
Worüber Du Dich informieren und nachdenken solltest: Berufsgenossenschaft.

Die Gesetzliche Krankenversicherung und im Regelfall auch die private Krankenversicherung zahlt NICHT für Berufsunfälle und Berufskrankheiten. Wenn Du Dich bei Deiner Visa-Tätigkeit verletzt und ärztlich behandelt werden musst, wäre das ganz formal gesehen nicht durch Deine Krankenversicherung abgedeckt... Das muss nicht immer auffallen, aber eigentlich gibt es bei in der GKV Versicherten bei jeder Unfallverletzung eine Unfallmeldung an die Krankenversicherung (ggf. durch den Arzt), und da muss man angeben, ob es eine beruflich bedingter Unfall oder Wegeunfall war. Und dann musst Du entweder lügen (was in dem Fall strafbar wäre), oder Du sagst die Wahrheit, und könntest dann aus eigener Tasche zahlen müssen.

Für Berufsunfälle und -krankheiten ist in Deutschland die Berufsgenossenschaft (BG) da. Da werden über die Arbeitgeber alle Angestellten versichert, und Du kannst als Selbständiger Dich dort auch selbst versichern.

Die BG kann zwar arg bürokratisch sein, hat aber den charmanten Vorteil, die billigste Berufsunfallversicherung zu sein, die es gibt, und wenn sie leistet, dann leistet sie gut.

Und... beim Selbständigen ist natürlich vieles ein "Berufs- oder Wegeunfall". Du hast einen Autounfall und wirst dabei verletzt? Du warst beruflich unterwegs... Make-up kaufen. Kunden werben. Deine Geschäftspost wegbringen. Was auch immer...
(Okay - in der Nacht um 3 Uhr 30 beruflich bedingt unterwegs gewesen zu sein, kann ein Fotograf - "Nachtaufnahmen" - natürlich leichter plausibel machen als eine MUA. Die müsste schon erklären, wie und wo und mit wem sie um 3 Uhr 30 beruflich zugange war - als Fotograf war ich halt unterwegs, die Straße bei nacht zu fotografieren... Wer will es widerlegen?)
7 years ago
Ich möchte noch einwerfen: Wenn du künstlerisch frei bist und weder HwK noch IHK nutzt, dann kommt die Künstlersozialkasse daher...
[gone] User_2972
7 years ago
Gönn Dir zwei bis drei Stunden bei einem Steuer- oder Unternehmensberater. Wirklich, die Investition lohnt sich.

Topic has been closed