Gestaltetes Shooting ... aber gestaltete Fotografie ? 44

3 years ago
Die Möglichkeiten des Fotografen, eine vorherige Motiv-Vorstellung komplett zu inszenieren ("inszenierte Fotografie") oder sich auf vorgegebene Konstellationen einzulassen ("Schnappschuss") hat unendliche Varianten dazwischen.

Auf verschiedene Weise erfordert diese ganze Palette einen guten Sinn für Bildgestaltung, denn zum Beispiel auch Streetfotografie zeugt nur dann gelungene Ergebnisse, wenn intuitiv und blitzschnell eine gute Konstellation erfasst wird. Der Zufall gestaltet und man muss das bildgestaltende Potenzial erkennen. Meines Erachtens braucht man dafür viel Erfahrung in Sachen Bildgestaltung als Voraussetzung.
Bei der Inszenierung hat man dagegen mehr Zeit auszuprobieren und zu justieren. Da kann man auch bewusst Regelsysteme anwenden und das Bild gestalterisch durchdringen.

Die Nutzung von Photoshop ist eine Verängerung des gestalterischen Anliegens und darum verteidige ich das.

Wie gesagt, ich vermute, die meisten bewegen sich eher zwischen beiden Extremen und im besten Falle mal auf dieser oder mal auf jener Position. Wenn's gut werden soll, braucht man in jedem Falle Gestaltungserfahrung.
[gone] User_184280
3 years ago
Für mich ist die Interaktion mit dem Model der Grund, weshalb ich People-Fotografie betreibe. Ein Purist könnte meinen, dass ich die Realität verfälsche, weil ich die Bildaussage lenke. Aber mir geht es nicht um ein bloßes Spiegeln, sondern tatsächlich um das Zusammenwirken zweier Menschen.
[gone] User_6449
3 years ago
Manchmal mache ich noch "Reportagefotografie" oder "Streetfotografie"
für eine Bildagentur in Hannover. Aber selbst diese Bilder (von Demos,
Veranstaltungen usw.) sind immer "gestaltet" oder sogar "manipuliert".
Je nach dem, auf welcher Seite man als Fotograf und Mensch steht und
welche Bildaussage beabsichtigt ist.

Das ist bei Reportagefotos genau so, wie bei gestellten Fotos. Es muss
bei Reportage nur sehr viel schneller gehen etwas zu erfassen oder zu
manipulieren, weil man meistens keine zweite Chance hat.

Dazu ein Beispiel:

Neulich war mal wieder eine "Corona Demo" und ich habe einen der
Polizisten gebeten, mal seinen Helm abzunehmen. Nicht weil ich ihn
fotografieren wollte, sondern die Reaktion der Demonstranten auf
die Aktion.

Das hat er zu meiner Überraschung auch tatsächlich getan und es
war natürlich eine "Manipulation", "Interaktion" oder "Gestaltung"
der Ereignisse. Wie man es auch immer nennen mag ...
[gone] User_257756
3 years ago


Früher hiess das schlicht und einfach "made or token".

Grüsse in die Runde
woodplane.ch
3 years ago
Somit besteht doch ein Shooting auch in einer Einwirkung auf das Motiv - das ist doch ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen "Shootings" und anderen fotografischen Genres !?


Man hat immer Einfluß auf das Motiv. Schon allein der Bildausschnitt, Perspektive, ja auch Licht verändern das Motiv.
Jeder Shootingbereich hat seine eigenen Herausvorderungen. Bei einem zählt mehr die Beharrlichkeit und das Glück des Tüchtigen (zB Naturfotografie), bei People (Model-)Fotografie eher die künstlerische Gestaltungsfähigkeit (zB das Model muß sich noch ein bißchen nach links drehen)

Alle Genres haben aber eine Gemeinsam: Der Sinn für ein gutes Bild und der Bildaufbau/Bildschnitt.

Das hat er zu meiner Überraschung auch tatsächlich getan und es
war natürlich eine "Manipulation", "Interaktion" oder "Gestaltung"
der Ereignisse. Wie man es auch immer nennen mag ...

Ich würde so eine "Manipulation" nicht machen ... das ist wohl Einstellungssache und liegt auch sicher an deinen kommerziellen Intereessen.
Mir würde es nie einfallen ein Tier anzufüttern oder zB eine Libelle über Nacht in den Kühlschrank stecken damit sie dann für den "Schnappschuss" still hält. Würde ich damit mein Geld verdienen und ich liefern soll/muß .... ????
3 years ago
@ Marcello Rubini und Peter Herhold
Vielen Dank, genau - das eine ("Modelshooting") ist eine Gestaltung durch Inszenierung , während Reportage, Event- oder Streetfotografie eben keine Wiederholungschance bieten.

@ Jürgen Krall und T|BICHLER
Ihr habt natürlich recht, was die Komposition betrifft und somit die optimale Perspektive.
Aber mir ging es um was anderes ... wenn ich eben zwecks bester Perspektive auf einen Baum klettere und zwischen den Ästen den Halt verliere, dann riskiere ich beim Sturz aus 8 Metern Höhe mein Leben - wenn ich aber das Model auf dem Fenstersims balancieren lasse, dann ist es meine Einwirkung eben auf das Model als Motiv, denn zur Umsetzung meiner Bildidee riskiert sie ihr Leben.

Mit dem Vergleich zum Tier ... wenn ich dem 3 Tage lang das Futter verstecke und dann das Futter so platziere, damit das arme Tier einen riskanten Sprung machen muß, um an das Futter zu gelangen, dann habe ich auf dieses Tier eingewirkt, um meine Bildidee vom springenden Tier zu realisieren.
Das war, was ich meinte - die Einwirkung auf das Motiv, beim "Shooting", so wie es hier in der MK wohl verstanden werden darf, eben auf das Posieren des Models. Wobei es aber eben auch so sein kann, daß das Model innerlich schon sehnlichst darauf wartet, z.B. eine Bondage zu erleben, denn die Einwirkung ist eben gewollt und erwünscht.
SEE - Toxic Boomer
Ja, verstehe. Aber ein Fotograf wirkt durch seine bloße Anwesenheit schon ein.
Sobald eine Kamera in der Nähe ist agieren Menschen anders.
Sobald du ein Foto machst, veränderst du durch den gewählten Ausschnitt die festgehaltene "Realität". Da ist nicht einmal PS notwendig, um z.B. eine, neben dem Apfelbaum befindliche Mülldeponie nicht mit ins Bild zu nehmen.
usw... und so fort
3 years ago
@ Jürgen Krall
Genau ... und dafür ist noch nicht mal eine Kamera nötig : So ziemlich bei jedem Auftritt zeigt sich dies, vor großem Publikum wie vor nur einem Kunden oder Gast - sei es der große Auftritt auf "rotem Teppich", sei es die Messehostess oder Empfangsdame an der Rezeption.
Die Mülldeponie neben dem Apfelbaum ... klar auch eine Gestaltungswirkung, aber da ändert eben der Fotograf seinen Standort, er bückt sich, er klettert, er springt zur Seite.
Das tut er auch im Shooting, denn auch da braucht er die beste Perspektive - aber auf sein Geheiß bewegt sich auch das Model und somit das Hauptmotiv.
Aber beim Eiskunstlauf wird die Eistänzerin ihre Bewegungen nicht ändern, auch wenn 100 Kameras auf sie gerichtet sind, denn sie befolgt die vorgegebene Choreographie.
Ob die freizügige Girl-Girl-Szene im Quartierzimmer dann wesentlich anders wirkt als auf der Showbühne der Erotikmesse, oder die Fashionshow auf dem Catwalk anders als die individuell gestaltete Fashionszene ... hängt davon ab, ob die Vorgaben einer "Einzelregie" dann wesentlich anders sein können als die einer bereits eintrainierten "Posierchoreographie". Also no time like showtime ??
3 years ago
Schon seltsam, wenn Leute Wortbedeutungen diskutieren, aber nicht einmal Fragezeichen richtig setzen können.
https://de.wikipedia.org/wiki/Plenk
3 years ago
Shootings sind Fotos, bei denen ein posierendes Model das (Haupt-)Motiv darstellt.

Ich würde zumindest soweit mitgehen, daß im allgemeinen Sprachgebrauch der... Fotografie-Szene (und vor allem der im Internet) der englische Begriff "shooting" als Kurzform von "Fotoshooting" für das Fotografieren mit Menschen benutzt wird, welches keine Reportagefotografie ist, sondern wo die fotografierten Menschen bewusst und geführt für die Fotos posieren.

Was allerdings sofort wieder Abgrenzungsprobleme schafft, denn auch in der Reportagefotografie werden Fotos "gestellt".

Oder anders gesagt: wenn ein Fotograf einem Model eine Ananas in die Hand drückt, weil er ein Foto "Mädchen mit Ananas" oder "Ananas in der Hand eines Menschen" fotografieren will, dann wird man das als "(Foto-)Shooting" bezeichnen.

Wenn ein gewitzter Pressefotograf beim CDU-Parteitag dem CSU-Politiker Franz Josef Strauß eine Ananas auf die Bühne hochreicht, weil Strauß einige Jahre zuvor (1980) mal gesagt hatte, er würde lieber Ananas in Alaska züchten als Kanzlerkandidat werden - und nun auf diesem Parteitag zum Kanzlerkandidaten der CDU/CSU gekürt wurde...

Ist das dann ein "Shooting"? Eigentlich ist es ja exakt dasselbe: ein Fotograf drückt einem Menschen, der fotografiert wird, zu diesem Zweck eine Ananas in die Hand...

Man kann allerdings sofort die Sache weiterspinnen und die völlig berechtigte Frage aufwerfen, ob denn überhaupt Pressefotografie immer "Reportagefotografie" ist... Was ich jedenfalls bei der Pressefotografie für Nachrichtenagenturen und Tageszeitungen in vielen Fällen bestreiten möchte.

Aber auch da sind die Grenzen eben sehr fließend.
3 years ago
Also Shooting ist für mich, wenn ich einen Termin zum Fotografieren habe, die Kamera in die Hand nehme und den Auslöser drücke.

Dann hätte ich in der ersten Hälfte der 1990er "Shootings" in Sarajevo und anderen Orten in Bosnien-Herzegowina gemacht...

Obwohl... der Begriff "Shooting" hätte da schon eine bemerkenswerte Doppeldeutigkeit gehabt. ;-)
3 years ago
Früher hiess das schlicht und einfach "made or token".

Jetzt musst Du bitte mal "made or token" übersetzen. Ich kriege da auch nach längerem Grübeln keinen Sinn rein.

"Made or taken" würde ja noch irgendwie Sinn ergeben, aber "made or token"?
3 years ago
Ein Purist könnte meinen, dass ich die Realität verfälsche, weil ich die Bildaussage lenke.

Man kann keine "unverfälschte Realität" fotografieren.
Man gestaltet die Realität immer beim Fotografieren. Durch den Auswahl des Standortes, des Bildausschnitts, dem Zeitpunkt der Aufnahme, vielfach auch durch die Belichtungszeit, durch die Schärfeverteilung im Bild, den Umgang mit den Farben (oder eben S/W), usw.
3 years ago
@ Tom Rohwer
Den Token kenne ich als USB-Token, das ist ein spezieller USB-Stick, der in diesem Jahr nun sehr wichtig wurde für viele, die nun im home-office arbeiten und über den Token Zugang zum Firmennetzwerk bekommen. Eine weitere Wortbedeutung wäre "digitaler Jeton" in der Kryptowährung, wohl ähnlich einem bitcoin.
Und was das "Shooting" betrifft ... das wäre auf Englisch ein "photo shoot" oder eine "photo session" ... denn eines der bekanntesten "Shootings" war der Chicagoer Kugelhagel vom Valentinstag 1929. Im Tathergang wurden also keine 35 Bilder auf Kleinbildfilm in der Leica verballert, sondern die Trommelmagazine zweier Thompson M28 Tommy Guns leergefeuert.
3 years ago
"Shooting Star" und "Shooting Brake" kann man aber auch als Indizien des internationalen Bedeutungswandels anführen :

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Shooting_Star

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Shooting_Brake

http://www.504cc.de/modellgeschichte/504-riviera

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kombicoup%C3%A9

Wäre der Peugeot Break Riviera nun 49 Jahre später präsentiert worden, er wäre jetzt wohl auch ein "Shooting Break", aber 1971 dachte man eben nicht daran, dieses Auto mit dem Wort "Shooting" in Verbindung zu bringen.
[gone] User_6449
3 years ago
Zitat: Tom Rohwer ...

"Made or taken" würde ja noch irgendwie Sinn ergeben, aber "made or token"?

Das hat er vermutlich auch gemeint und "token" war wohl nur ein Tippfehler.

Denn es gibt ja auch den englischen Begriff der sogenannten "Picture Taker":

Eine Bezeichnung für Fotografen (speziell aus der Reportagefotografie), die
nur beobachten und im passenden Moment den Auslöser drücken, ohne auf
die Szene vor der Kamera selbst aktiv Einfluss zu nehmen.

Also im übertragenen Sinne "made" für aktiv inszenierte Bilder, oder "taken"
für passiv aufgeschnappte Bilder: Das ergibt zusammen "Made or taken" ...
[gone] User_257756
3 years ago
Also liebe Teilnehmer dieses Forum.

Wie schon Peter Herhold angefügt hat heisst der Begriff:
"Made or taken"
Wird halt token ausgesprochen.
Frei übersetzt: "Gemacht oder genommen".
Sorry für den Schreibfehler.
Die Dozenten an der Schule für Gestaltung Basel haben den Begriff so verwendet.
[gone] User_184280
3 years ago
Tom Rohwer Ja, die unverfälschte Realität ist natürlich ein sehr schwammiger Begriff. Aber lass es mich einfach so sagen: es gibt Authentizität auch beim Modelshoot fernab von Kameraeinstellung und Bildgestaltung. Und wenn mir die nicht gefällt, dann lenke ich in eine andere Richtung.
3 years ago
"Made or taken"
Wird halt token ausgesprochen.

[Klugscheißermodus]
Nee, wird's nicht. ;-)
[/Klugscheißermodus]

Ansonsten wieder wie so oft: ist alles nicht schwarz oder weiß.

Shootings schaffen immer Situationen, die ohne Shootings nicht entstanden wären. Dennoch ist es ein riesen Unterschied, ob ich mit einem Model etwas bestimmtes inszenieren möchte, oder ob die Bilder später zeigen sollen, wie man als Fotograf den Menschen vor der Kamera über mehrere Stunden hinweg erlebt hat.

Eins ist nicht richtiger als das andere, aber es ist doch eine sehr unterschiedliche Arbeitsweise.
3 years ago
Ein Bild ist immer seine eigene Realität, auch wenn es oft aus der gelebten etwas entlehnt. Warum ist das so schwer zu akzeptieren?

Und noch spezifischer wird die Bildrealität dann im Auge des Betrachters. Aber der Betrachter erlebt (und speichert) die "authentische" ebenfalls subjektiv.

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