Gewohnheitsrecht in der Fotografie? - Bildveröffentlichung 36

[gone] jan wischnewski photography | berlin | potsdam
7 years ago
Ein Vertrag ist wie ein Feuerlöscher.

Oder auch wie ein Regenschirm, der sich nur bei Sonne öffnen lässt. :)))
Schon eine Minute googeln zeigt: Für das Gewohnheitsrecht bedarf es a) einer „längerdauernden, stetigen, allgemeinen und gleichmäßigen Übung“, wobei die "zeitlichen Dimensionen ... sich nach den individuellen Umständen" richten. Im Arbeitsrecht wird nach einem Zeitraum von drei Jahren von Gewohnheitsrecht gesprochen. In diesem Fall liegt eine solche Übung nicht vor, da die beiden erst seit zwei Jahren geschieden sind und sich ohne Probleme darauf berufen können, dass sie sich vorher mit wichtigeren Dingen rumschlagen mussten. Ferner braucht es b) eine Anerkennung dieser Übung als rechtsverbindlich durch die Parteien. Da brauchen die beiden nur glaubhaft zu machen, dass Sie das nie so gesehen haben, dann entfällt auch die zweite Voraussetzung für Gewohnheitsrecht. Auf dieses Recht wirst Du Dich also nicht berufen können.
Bleibt das Vertragsrecht: Da steht es zwei gegen einen. Die beiden brauchen nur zu behaupten, dass sie Dir die Nutzung der Bilder lediglich bis auf Widerruf genehmigt haben und Du bist dran. Dann musst Du das Gegenteil beweisen und kannst es nicht.
Ein Vertrag ist wie ein Feuerlöscher.

Oder auch wie ein Regenschirm, der sich nur bei Sonne öffnen lässt. :)))

YMMD :)
Und was Deine Frage an mich angeht: Überleg doch mal, was Du den beiden antust. Du zeigst Hochzeitsfotos eines geschiedenen Paares. Es wird Gründe geben, weswegen sie geschieden sind und es ist sicherlich nicht schön oder angenehm, zusammen mit einem Menschen, den man nicht mehr in seinem Leben haben will, auf einem Werbebildchen eines Fotografen abgebildet zu sein, der damit seine eigenen Dienste bewirbt.

Hinzu kommt: Wenn Du nicht nachweisen kannst, dass die beiden schon früher von dem Video gewusst haben, ist es für die ein Leichtes, zu behaupten, dass sie nichts davon wussten und nicht in so einem qualitativen und werblichen Umfeld gezeigt werden möchten.
7 years ago
Die Vorgeschichte:
2012 fotografierte ich die Hochzeit von Freunden, zu Übungszwecken kostenlos, mit der Erlaubnis die Bilder auf meiner Webseite ect. veröffentlichen zu dürfen. Da es Freunde waren ohne Vertrag sondern per Handschlag (sozusagen)

Das IST ein Vertrag...
Klar kann man nun so argumentieren das es keinen schriftlichen Vertrag gibt, wohl aber einen mündlichen.

Siehe oben.
Ich habe das Löschen der Bilder bzw. löschen des Videos aufgrund der mündlichen Absprache verweigert. Beide drohen mir nun mit einem Anwalt und haben mir eine Frist gesetzt.

Wie bei allen mündlichen Verträgen besteht das Problem der Beweisbarkeit des konkreten Vertragsinhalte.

Eigentlich sehe ich dem ganz entspannt entgegen, denn die Bilder sind seit Jahren online, sowie auch das Video seit über einem Jahr online ist. Hinzu kommt, unter Umständen, auch das Gewohnheitsrecht

Hier ganz sicher nicht. Hier geht's nur um den Vertrag. Das "Gewohnheitsrecht" hilft hier kein Stück weiter.
Ob und in wie fern es in der Fotografie, zum Beispiel in diesem Fall oder anderen, zum tragen kommt würde mich brennend interessieren. Gibt es da Erfahrungen eurerseits?

Jede Menge.

Es geht hier schlicht um die Fragen:

  1. Wie sehen die vertraglichen Abmachungen konkret im Detail aus?
  2. Sind die vertraglichen Abmachungen überhaupt auch wirksam, oder enthält der Vertrag unwirksame Klauseln?
  3. Gibt's tragfähige Gründe, die Einwilligung zurückzuziehen.


Letzteres dürfte nicht so völlig aussichtslos sein - daß ein Ehepaar nach seiner Trennung nicht mehr in der Öffentlichkeit als Ehepaar dargestellt werden möchte, und schon gar nicht als glückliches Brautpaar, ist durchaus ein gewichtiges Argument. Das gilt umso mehr, als daß es sich nicht um bezahlte Models handelt, sondern die Aufnahmen aus privater Gefälligkeit entstanden sind.
Ob das Argument vor Gericht auch trägt, das weiss man, wenn das Gericht ein Urteil gesprochen hat.

Ich sag's mal so: der konkrete geschilderte Fall ist nicht so ganz unklomplex, und ich persönlich würde mich vor dem Hintergrund der beschriebenen Faktenlage nicht allzu weit aus dem Fenster hängen - weil ich da die Befürchtung hätte, daß es durchaus zu einem abrupten Zusammenprall mit einem Laternenpfahl kommen könnte...
Und ein solcher führt nicht immer und auch nur begrenzt zur Erleuchtung - definitiv aber immer zu Kopfschmerzen.
7 years ago
Ich weiß warum ich auf einen schriftlichen Vertrag im Freundes- und Bekanntenkreis noch viel mehr Wert lege als bei allen anderen Personen. Genau aus solchen wie vom TO gesdchilderten Gründen .... Ohne Vertrag/Vereinbarung wird nicht fotografiert - ganz einfach.

Kluge Menschen machen überhaupt keine Geschäfte mit Freunden und Familienangehörigen...
[gone] Dirk Jacobs Fotografie
7 years ago
weil ich da die Befürchtung hätte, daß es durchaus zu einem abrupten Zusammenprall mit einem Laternenpfahl kommen könnte...
Und ein solcher führt nicht immer und auch nur begrenzt zur Erleuchtung - definitiv aber immer zu Kopfschmerzen.

YMMD :D
Keine Sorge, so weit wird es nicht kommen.

Es kristalisiert sich hier schon heraus das trotz jahrelangen online seins der Bilder / Video, speziell bei einem mündlichen Vertrag (Beweisbarkeit), ein Gewohnheitsrecht nicht wirklich vorhanden ist. Das wäre aber der speziell an dem von mir geschilderten Fall gebundene Gewohnheitsrecht. Wie das rein Rechlich aussieht kann nur ein Anwalt sagen. Dazu werde ich es aber nicht kommen lassen.

Ich denke aber das es in anderen Fällen evtl. vorhanden ist / sein könnte. Wäre schön wenn dazu mehr Erfahrungen kommen :)
7 years ago
@ DJ :

Hier mal ein Fall, der von der Art der Bilder her völlig anders ist (Intimfotos statt Hochzeitsfotos), aber die juristischen Abwägungen der betroffenen Rechtsgüter bzw. die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts im Vergleich zur Kunstfreiheit und zum Urheberrecht gut erkennen läßt ... nimm mal als Gedankenspiel Deinen Fall so, also wäre z.B. nur die Ex-Ehefrau gegen die erneute Veröffentlichung, der Ex-Ehemann wäre aber dafür oder es wäre ihm egal ...
in Deinem Fall sind beide abgebildeten Personen trotz oder eben wegen der Scheidung gemeinsam dagegen ...

http://www.iww.de/quellenmaterial/id/106202

... und hier einige frühere Forumsdiskussionen zum Thema Veröffentlichung und Bildernutzung :

https://www.model-kartei.de/forum/45/96210-0-olg-koblenz-beziehungsende-rechtfertigt-widerruf-der-bildernutz.html

https://www.model-kartei.de/forum/4/97379-0-bgh-ueber-konkludente-einwilligung.html

https://www.model-kartei.de/forum/39/97548-4-die-einschraenkung-der-fotografenfreiheit-durch-ein-modell.html

https://www.model-kartei.de/forum/4/98375-0-menschenwuerde-und-illegale-fotos-neues-gerichtsurteil.html
7 years ago
Es kristalisiert sich hier schon heraus das trotz jahrelangen online seins der Bilder / Video, speziell bei einem mündlichen Vertrag (Beweisbarkeit), ein Gewohnheitsrecht nicht wirklich vorhanden ist.

Das "Gewohnheitsrecht" kann hier schon rein (rechts-)logisch keine Rolle spielen. Gewohnheitsrechte kommen nicht durch Gesetze oder Vorschriften zustande, sondern entstehen aus einer andauernden Anwendung einer bestimmten Gepflogenheit, gegen die über längere Zeit kein Widerspruch eingelegt wird.

Ein typisches Beispiel für Gewohnheitsrecht wäre ein Wegerecht, das nicht im Grundbuch eingetragen ist.

Grundstückseigentümer A und B haben hintereinanderliegende Grundstücke. Auf dem Grundstück von B steht seit 30 Jahren eine Garage, die nur über einen Weg auf dem Grundstück von A erreichbar ist.
Die Konstellation ist vor 30 Jahren entstanden, als A zu B sagte "Bau Dir ruhig da hinten eine Garage hin. Kannst einfach meine Auffahrt mit benutzen!"
Ein Wegerecht wurde niemals eingetragen. Man war ja "gut Nachbar".
Jahrzehnte später gibt's nun Stress, und ohne die Zufahrt ist die Garage nicht als solche benutzbar, und eine alternative Zufahrt ist auch nicht möglich. Dann kann sehr gut das Gewohnheitsrecht greifen, zumindest so lange, wie es den Weg überhaupt gibt.

Hier geht's um was vollkommen anderes. Hier gibt es einen Vertrag. Der sagt: XYZ.
Leider wurde XYZ nicht schriftlich vertraglich festgehalten.

Nun gibt's Streit. Was nun?

Nun muss als erstes mal geklärt werden: wie sieht XYZ denn eigentlich genau aus? Vorausgesetzt, die eine Seite bestreitet nicht überhaupt, daß je eine Vereinbarung getroffen wurde? "Einwilligung in Veröffentlichung? ICH? NIE!!!"
Doch. Hier kommt ein Zeuge. Der hat's gehört. Wäre eine Option. Oder ein Sachbeweis, der zeigt, daß das Hochzeitspaar davon gewusst hat und über mehrere Jahre nie widersprochen hat.
Das würde dann zumindest ein starker Anhaltspunkt dafür sein, daß da mal, wie vom Fotografen behauptet, eine Einwilligung gegeben wurde. Denn hätte es die nie gegeben, dann wäre wohl schon früher protestiert worden.
Allerdings verzichtet man nicht deshalb wirksam auf Persönlichkeitsrechte, nur weil man mal eine Zeitlang hinnimmt, daß sie verletzt werden. Man darf auch nach ein paar Jahren zu der Ansicht kommen, in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt zu werden.

"Gute Frau - Sie lassen sich seit fünf Jahren regelmäßig von ihrem Ehemann verprügeln, ohne jemals dagegen Anzeige erstattet oder geklagt zu haben. Da können Sie jetzt nicht mehr kommen - das ist jetzt Gewohnheitsrecht!"

Ganz sicher nicht... *LOL*

Das wäre die erste Baustelle. Die zweite ist aber genauso interessant.

Einwilligungen in die Nutzung von Fotos können vom Abgebildeten unter bestimmten Umständen zurückgezogen werden. "Ewig gültige, nicht widerrufliche Model-Releases" gibt es nicht. (Jedenfalls nicht in Deutschland.)

Auch Dauerschuldverhältisse können "aus wichtigem Grund" gekündigt werden. "Wir sind geschieden, und ich will nicht mehr mit meinem Ex zusammen auf einem Foto Werbung für Hochzeitsfotos machen!" ist m.E. ein ausgesprochen guter Grund. Ein besserer als viele andere jedenfalls.

Bei einem Pay-Model, das seine Hochzeit für Hochzeitsfoto-Werbung vermarktete, mag man das anders sehen. In jedem Fall würde man dann über angemessene Schadensersatz-Ansprüche reden können.

Aber bei: Bekannter macht für lau Hochzeitsfotos, und darf dafür anschließend mit denen ein bißchen Werbung machen... Da könnte der "wichtige Grund" dann durchaus gewichtiger sein. Zumal die Belastungen für den Fotografen, der die Bilder nicht mehr für Werbung nutzen darf, sich sehr in Grenzen halten. Das ist dann auch eine Güter-Abwägung.
[gone] Dirk Jacobs Fotografie
7 years ago
Nice geschrieben :)

Und nun der Joke zum Sonntag:
Ich hab mit beiden gestern Abend nochmal gesprochen und denen gesagt das ich mittlerweile genug andere Hochzeiten fotografiert habe, so dass es auf die Bilder nicht mehr ankommt und ich sie löschen werde. Daraufhin kam von beiden: "Nee, brauchst du nicht, nur das Video, die Fotos auf der Webseite sind okay."

Nu hab ich aber keine Lust mehr und lösche die trotzdem gleich mit, wer weiß was die in 1 Jahr reitet, dass sie die dann doch gelöscht haben wollen.
7 years ago
@ DJ : Dann hat es sich ja doch irgendwie zum Guten oder jedenfalls zu einem Kompromiß gewendet 

@ Tom Rohwer :
Allerdings verzichtet man nicht deshalb wirksam auf Persönlichkeitsrechte, nur weil man mal eine Zeitlang hinnimmt, daß sie verletzt werden. Man darf auch nach ein paar Jahren zu der Ansicht kommen, in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt zu werden.

Im streitigen Intimfoto-Fall, der dann vom OLG zum BGH ging, war es ja genau so, daß die Frau zuerst einverstanden war mit den Intimfotos und diese selber auch als email-Anhang weitergeleitet hatte (sodaß z.B. der email-provider diese evtl. auch einsehen konnte). Später dann aufgrund des Beziehungsendes hat sie sich dann eines Anderen besonnen ... und der BGH gab ihr Recht !

Das "Hinnehmen" einer Verletzung ist auch ganz was Anderes ... z.B. die gefilmten Folterungen von Gefangenen - diese können sich eben erst wehren, wenn sie befreit sind oder die polit. Lage sich geändert hat. Das ist erduldet (um nicht noch schlimmer gefoltert oder gar getötet zu werden), aber nicht zuerst vollends selber gewollt und dann die Kehrtwende gemacht. 
7 years ago
Nur so als Idee: Rechnung schreiben und wenn gezahlt wird, Bilder löschen und Video schneiden....
Damit hast Du Deinen Aufwand von damals und heute entschädigt und alle sind happy.
7 years ago
Und nun der Joke zum Sonntag:
Ich hab mit beiden gestern Abend nochmal gesprochen und denen gesagt das ich mittlerweile genug andere Hochzeiten fotografiert habe, so dass es auf die Bilder nicht mehr ankommt und ich sie löschen werde. Daraufhin kam von beiden: "Nee, brauchst du nicht, nur das Video, die Fotos auf der Webseite sind okay."

was mal wieder zeigt: ausführliche Kommunikation vorher erspart meist Gedanken und Arbeit hinterher...
7 years ago
Auch wenn es nun kaum noch eine Rolle spielt:

Ich hätte den beiden gesagt, dass ich die Bilder lösche, wenn sie das Geld für die Anwälte gleich mir geben. :-)

Ansonsten wundert mich, dass die Ex-Ehepartner sich in der Frage offenbar zu jedem Zeitpunkt so einig sind. So schlimm kann es also nicht sein. Abgesehen davon, habe ich Aktfotos mit zwei Modellen gemacht (w/m), die jweils nicht verheiratet oder sonstwie verbandelt waren - auch auf TFP. Auch das ist offenbar gar nicht schlimm ...

Wie die anderen hier bereits ausgeführt haben, ist auch mir kein Gewohnheitsrecht bekannt. Ich würde damit auch nie argumentieren, weil das implizieren würde, dass die Bilder unrechtmäßig genutzt werden/wurden. Dem ist ja nicht so. Allerdings ist die Frage schon berechtigt, warum das Ausstellen der Bilder erst Jahre später moniert wird. Es war ein taktischer Fehler, den Wunsch nach Löschung mit der Scheidung zu begründen, denn damit haben die beiden ja bereits zugegeben, dass sie der Veröffentlichung früher einmal zugestimmt hatten. Eine Scheidung sehe ich übrigens nicht als wichtigen Grund an und ich frage, ob die beiden denn sämtliche Fotos, die die beiden zusammen zeigen, vernichtet haben. Ich wüsste auch nicht, wo der Schaden für die beiden liegen könnte.  
7 years ago
Ansonsten wundert mich, dass die Ex-Ehepartner sich in der Frage offenbar zu jedem Zeitpunkt so einig sind.

Genau deshalb hätte ich dem TO auch wenig Chancen vor Gericht eingeräumt ... klar sind Hochzeitsfotos nicht "schlimm" oder "ehrenrührig", aber wenn einer der beiden Ex-Partner eben genau darauf bestanden hätte, weiterhin veröffentlicht zu werden, dann wäre es richtig spannend geworden ! Denn dann stünde ein "extrovertiertes" Persönlichkeitsrecht gleichrangig gegen das andere "introvertierte" ... 
[gone] Dirk Jacobs Fotografie
7 years ago
Bevor das Thema in der Versenkung verschwindet sag ich einfach mal Danke für eure Ausführungen :)

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